Schweres Leben

Großvater ist Schmied. Die Schmiede grenzt an das Wohnhaus. Darin arbeitet er von früh bis spät. Sein rechter Arm ist durch Kinderlähmung von Schulter bis zum Ellenbogen gelähmt. Trotzdem schmiedet er schwere Eisen für Wagenräder, beschlägt Pferde, schärft Sensen und repariert im Winter die Löcher in den Wärmflaschen der Dorfbewohner. Er schmiedet Schürhaken, Schlösser und Ketten, schärft Messer und Scheren und bearbeitet und repariert alles was Haus und Hof benötigen.
Vor der eigentlichen Schmiede ist eine Halle in der die Pferde stehen, wenn sie beschlagen werden. In dieser Halle werden auch die heißen Eisenräder über die hölzernen Wagenräder, mit speziellen Holzstangen an denen Haken angebracht sind, gezogen. Diese Arbeit erfordert mehrere Helfer, bei der die gesamte Familie mithelfen muss. Dann eilt mein Onkel, meine Großmutter, meine Mutter und auch vielleicht ein Nachbar herbei, denn der Eisenring muss schnellstens über das Wagenrad gezogen werden, solange er noch glühend heiß ist. Die Helfer drücken mit den Eisenstangen den heißen Eisenring herunter und Großvater eilt um die Leute und Rad herum und haut den Eisenring gleichmäßig auf das Rad. Dann riecht es in der ganzen Umgebung nach verbranntem Holz.

Muss ein Pferd beschlagen werden, braucht Großvater auch einen Helfer. Meist sind es schwere Ackergäule die neue Eisen brauchen. Großvater klopft dem Pferd ans Bein und ruft: "Huf, Huf" und oft hebt das Tier dann das Bein etwas in die Höhe. Der Helfer hält dann das Bein fest, damit Großvater die Hufe bearbeiten kann. Bei störrischen Tieren zieht und zerrt Großvater so lange, bis das Tier das Bein hebt. Da jedes Pferd eine andere Hufgröße hat, misst Großvater die Hufe aus. Mit einer Beißzange zieht er die Nägel aus den alten Eisen. Dann kratzt er den Huf aus, in den sich vielleicht Steine und anderer Schmutz eingetreten haben, die dem Pferd Schwierigkeiten bereiten können. 
In der Schmiede hat Großvater einige Hufeisen in unterschiedlichen Größen schon vorgefertigt. Die passenden Hufeisen werden in der Esse erhitzt, schnell zum Pferd gebracht und auf die Hufe gedrückt. Dann riecht die gesamte Umgebung nach verbranntem Horn. Danach wird das Eisen mit speziellen Hufnägel festgenagelt und überstehende Hornreste mit der Feile ab geraspelt.
Die eigentliche Schmiede ist hinter der Halle. Dort befindet sich an der hinteren Wand die Esse in der die Eisen glühend erhitzt werden. Rechts davon ein ständig rußiges Fenster und an der Wand davor ein Wasserhahn mit einem darunter stehenden Bottich mit immer schwarzem und öligen Wasser, in dem die heißen Eisenteile zischend gekühlt werden. An der verrußten Wand hängen unzählige Werkzeuge, Zangen, Hämmer in allen Größen und Formen. An der linken Wand, unter einem weiteren rußigen Fenster, steht eine lange Werkbank auf der ein großer Schraubstock steht. In der Mitte der Schmiede steht das wichtigste Arbeitsgerät von Großvater: Der Amboss. Der Fußboden ist aus festgestampftem Lehm und im Laufe vieler Jahre ölig schwarz geworden.
Da Großvater der einzige Schmied im weiten Umkreis ist, kommen viele Menschen aus den umliegenden Dörfern zu uns. Meine Großeltern haben daher ihr Geschäft erweitert: In einem Anbau bieten sie Haushaltswaren an. Dort stehen auf langen Regalen Teller, Tassen, Töpfe, Eimer in allen Größen. Es gibt Nägel, Schrauben und Werkzeuge in allen Variationen. 
Das dritte Standbein ist die Zweigstelle einer Bäckerei. Dafür ist Großmutter zuständig. Im Hausflur ist eine kleine Ecke abgeteilt, in der auf Regalen auf der rechten Seite Brote gelagert werden. Links, unter einem kleinen Fenster, gibt es ein weiteres Brett auf dem ein Heft und ein Bleistift liegen. In diesem Heft werden akribisch genau die Verkäufe notiert und das Geld in die daneben stehende Geldkassette gelegt. Kommt eine frische Lieferung des Bäckers, weht im ganzen Haus der köstliche Geruch des frischen Brotes. Der Bäcker packt an seinem Fahrzeug zwei, drei große Brote auf meine Unterarme und ich trage diese dann die lange Treppe hoch. Großmutter sortiert sie in die Regale ein. Als Lohn für meine Arbeit erhalten ich eine köstliche Rosinenschnecke. Ich kann es kaum erwarten, bis der Bäcker die nächste Lieferung bringt.
Eines Tages im Sommer holt mein kleiner Bruder mit seiner Gießkanne Wasser aus der Schmiede, um Blumen zu gießen. Es war uns Kindern verboten, die Schmiede zu betreten, wenn darin gearbeitet wurde. Großvater bemerkt das Kind nicht. Er schmiedet gerade ein Eisenstück und ein winziger Splitter davon fliegt meinem Bruder in ein Auge. Es folgen viele Arztbesuche, doch nichts hilft. Das Auge bleibt blind.
Dieses Unglück hat Großvater für den Rest seines Lebens sehr belastet.

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