Feuerwerk in der Galaxie

Eine fantastische Geschichte

Es war eine düstere Novembernacht und ich war alleine zu Hause. Die Hunde des Nachbarn hatten schon ein paar Mal angeschlagen, als sie gegen Mitternacht endlich Ruhe gaben. Ich wälzte mich noch eine Weile hin und her, hörte das Haus ächzen und knarren und war gerade eingeschlafen, als ich bemerkte, dass es im Zimmer ganz hell wurde. Ich öffnete die Augen und sah vor der Terrassentür ein gleißendes weißes Licht flackern. Ich richtete mich im Bett auf. Plötzlich wurde es wieder dunkel und ich fragte mich, ob ich das nur geträumt hatte. Ich drehte mich mit dem Gesicht zur Wand und wartete darauf, wieder einschlafen zu können. Dann begannen die Hunde erneut zu bellen.

Die Terrassentür war gekippt und den Laden hatte ich nicht geschlossen. Schweren Herzens entschloss ich mich, mein warmes Bett zu verlassen und Fenster und Laden zu schließen. Im Dunkeln tappte ich mit bloßen Füssen zur Tür. Ich hatte die Entfernung schlecht eingeschätzt und knallte mit dem Kopf gegen den Schrank. Ich schimpfte und jammerte vor mich hin und da passierte es wieder. Das Zimmer füllte sich mit unwirklich hellem Licht. Gleichzeitig hörte ich ein Rauschen als ob es regnen würde. Ich öffnete die Terrassentür und konnte nicht glauben, was ich sah. Es regnete tatsächlich! Doch die Tropfen, die vom Himmel niedersanken sahen wie winzig kleine Glühbirnen aus. Sobald sie auf den Boden fielen, zerbarsten sie in unendlich viele Lichtsplitter und verlöschten dann schlagartig. Es sah aus wie ein Feuerwerk, das aber nicht am Himmel sondern auf der Erde explodierte.

Neugierig trat ich auf die Terrasse hinaus. Ich hatte ganz vergessen, dass ich keine Schuhe trug. Vorsichtig streckte ich die Hand aus und der Lichtregen umschloss sie wie ein Handschuh aus Licht. Es war ein wunderschönes und angenehm warmes Gefühl. Zaghaft wagte ich mich weiter vor und das Licht übergoss mich und floss an mit herab, bis die Tropfen auf dem Boden zersprangen. Ich drehte mich zur Tür, um mich im Glas anzusehen. Doch es gab kein Spiegelbild von mir: Das Licht hatte mich aufgesogen. Als Kind hatte ich mir immer gewünscht, eine Tarnkappe wie im Märchen zu besitzen und unsichtbar zu sein. Jetzt war ich unsichtbar. Ein Jauchzer entstieg meiner Kehle und ich lief mit meinen nackten Füßen von der Terrasse herunter und auf die Wiese hinaus. So lange wie möglich wollte ich diesen wunderbaren Regen auskosten.

Ich drehte mich um und konnte das Haus nicht mehr sehen. Kein Umriss, die große Birke an der Terrasse, keine Garage – absolut nichts war mehr zu sehen. Meine Umgebung bestand nur noch aus angenehm warmen Licht. Dann fielen die Tropfen spärlicher und plötzlich setzte der Lichtregen vollends aus. Nun war ich in tiefschwarze Dunkelheit gehüllt. Nirgends auch nur die geringste Helligkeit. Kein Stern stand am Himmel, keine Straßenlampe leuchtete mehr. Dazu hörte ich auch keinerlei Geräusche mehr, außer dem Blut, das in meinen Ohren rauschte.

Vorsichtig streckte ich meine Hände aus, um meine nähere Umgebung zu erkunden. Ich drehte mich mit ausgestreckten Armen um die eigene Achse, doch ich konnte keinen Gegenstand ertasten. Zögernd setzte ich einen Fuß vor den anderen. Oder sollte ich besser auf der Stelle bleiben und warten? Langsam kroch Panik in mir hoch. Ich musste doch schon fast am Ende des Grundstücks angekommen sein! Angestrengt starrte ich in die bleierne Schwärze bis meine Augen schmerzten. Wenn ich nur das Gartenhaus erreichen könnte! Oft hatte ich mich über die bellende Nachbarshunde aufgeregt. Jetzt wünschte ich mir das kleinste Winseln, damit ich wusste, in welcher Richtung ich mein Haus finden konnte. Doch nicht einmal das Flüstern des Windes in einem Strauch war zu hören. Ich war absolut allein! Die Dunkelheit war für meine Augen undurchdringlich. Träumte ich das vielleicht alles nur? Wachte ich gleich auf und lag in meinem Bett?

Ich tastete an mir herunter. Ich hatte meinen Schlafanzug an, keine Schuhe, keine Strümpfe. Meine Füße waren warm und ich fror nicht. Vorsichtig ging ich in die Hocke und erkundete den Boden. Das war nicht das Gras auf meiner Wiese! Der Boden fühlte sich trocken und weich an. Genau wie das rote Samtkleid, das ich als Kind immer nur an Feiertagen tragen durfte. War ich doch noch in meinem, Bett? Nur – das war nicht meine Matratze. Ich hatte keine Schmerzen, mir war warm und bis auf die aufsteigende Panik ging es mir gut. An meinem Kopf konnte ich die Beule ertasten, die ich mir vorhin am Schrank geschlagen hatte. Ein Gedanke ließ Verzweiflung in mir aufsteigen: Hatte mich dieser Lichtregen erblinden lassen? Oder der Schlag gegen den Kopf?

Angestrengt starrte ich ins Dunkel. Die langsam stärker werdende Verlassenheit versuchte ich mit den Gedanken zu bekämpfen, dass bald der Tag anbrechen musste. Es sollte jetzt bereits einige Zeit nach Mitternacht sein. Oh, ich war noch gar nicht auf den Gedanken gekommen zu rufen oder zu schreien! Ich öffnete meinen Mund doch kein Ton kam über die Lippen. Lautlos begann ich zu weinen. Immer heftiger flossen die Tränen aus meinen Augen. Sie liefen über meine Wangen, benetzten meinen Schlafanzug und tropften auf den Boden. Ich konnte fühlen, wie sich auf dem samtweichen Boden ein kleiner feuchter Fleck bildete.

Da hörte ich auf einmal ein Summen und Wispern, das schlagartig meine Umgebung von allen Seiten erfüllte. Etwas war in meiner Nähe. Ich fühlte, dass ich nicht mehr alleine war. Worte konnte ich noch immer nicht formen und wusste nicht, wie ich mich bemerkbar machen sollte. Dann spürte ich eine Berührung an meiner Schulter. Der Kontakt war so leicht, dass ich zuerst dachte, das Blatt eines Baumes sei auf mich gefallen. Nun konnte ich eine Stimme in meinem Kopf hören, die das Wesen in seinen Gedanken formte. Von den anderen hörte ich nur das Wispern und raunen. Nun begriff ich: Ich musste die Geschöpfe berühren, einen Gedanken formen und so konnten sie mich verstehen. Ich berührte das mir am nächsten stehende Wesen und formte in Gedanken die Frage nach meinem Aufenthaltsort.

Das Wesen antwortete mit mittels seiner Gedanken, dass durch eine Erschütterung ihres Planeten in seiner Laufbahn ihr Regelungssystem ausgefallen sei. Dadurch wurde ich mit dem Lichtregen in die Zwischenwelt der Aganas gezogen. Die Aganas lebten auf dem Planeten Agan in der Galaxie A5C hinter der Milchstraße. Sie hatten nicht bemerkt, dass ich mich in ihrer Welt befand. Die Aganas kannten weder Wasser noch Feuchtigkeit und erst als ich zu weinen begann und meine Tränen auf den Boden fielen, schlugen ihre Überwachungssysteme Alarm. Sie teilten mir mit, dass sie mich so schnell wie möglich wieder in meine Umgebung zurück bringen mussten, denn in ihrer Welt würde ich in kürzester Zeit austrocknen. Auch Zeit war den Aganas unbekannt und in ihrer Galaxie gab es keine Sonne. Das einzige Licht brachte der Lichtregen, der unregelmäßig auftritt. Durch die Erschütterung ihres Planeten wurde der Lichtregen an Agan vorbei geleitet und war auf den Teil der Erde getroffen, auf dem sich mein Garten befindet, bevor sie das System reparieren konnten. Sie begannen zu beraten, wie sie mich wieder zurückbringen konnten. Die meisten von ihnen verließen meine Umgebung, doch einige blieben in meiner Nähe. Ihre Anwesenheit beruhigte mich. Ich konnte sie zwar nicht sehen, konnte aber das Raunen vernehmen, das ihre Gedanken erzeugten. Bald hatte ich jegliches Zeitgefühl verloren und irgendwann füllte sich der Raum wieder mit Geräuschen und Gewisper. Mir wurde über die Gedanken mitgeteilt, dass sie eine Möglichkeit gefunden hatten, mich wieder zur Erde zu bringen.

Ich erwachte in meinem Bett. Verwundert rieb ich mir die Augen. Was hatte ich nur für einen Traum gehabt! Ich schlug die Decke zurück und stand auf. Mein weißer Schlafanzug war mit nachtschwarzen Fusseln bedeckt und die Jacke war in Brusthöhe feucht. Die Beule am Kopf schmerzte und als ich an mir herunter blickte, sah ich, dass meine Füße schmutzig waren.

Der Anrufbeantworter blinkte und zeigte fünf Aufzeichnungen an. Alle Anrufe waren von meiner Freundin. Sie hatte vergeblich versucht, mich telefonisch zu erreichen. Ich war gestern Abend nicht zu unserer Verabredung erschienen. Sie hatte auch am Haus geklingelt und da ich nicht reagiert hatte, ging sie um das Haus herum und bemerkte die offene Terrassentür. Im Haus konnte sie mich nicht finden und schloss die Terrassentür als sie ging. Ich solle mich umgehend bei ihr melden, denn sie mache sich große Sorgen. Falls ich sie bis um zwölf Uhr nicht kontaktiert hätte, würde sie mich bei der Polizei als vermisst melden.

Ich öffnete die Terrassentür und trat fröstelnd hinaus. Eine fahle Novembersonne blinzelte durch die Zweige der Birke in den Garten. Die spärlichen Sonnenstrahlen ließen winzige kleine Splitter am Rande der Terrasse aufleuchten.

Nur eine Viertelstunde

Jahre hatte Eva darauf gewartet. Es war ein Tag zum Verlieben. Kaiserwetter sagen die Leute dazu. Schon tausend Mal hatte sie in Gedanken dieses Picknick vorbereitet; den Korb dazu bereits vor Jahren gekauft. Tief im Schrank schlummerte er für den großen Tag. Eva spürte ihr Herz im Hals klopfen. Hoffentlich ging nichts schief. Dieser Tag würde sie für immer erlösen. Danach war sie am Ziel.

Sie hatte die Wiese schnell wieder gefunden. Diese Gegend im Taunus war für immer in ihr Gedächtnis gebrannt. Die Umgebung hatte sich schon verändert. In den zehn Jahren waren neue Straßen gebaut worden. Das in der Nähe liegende Dorf wuchs mit seinen hübschen Einfamilienhäusern stetig in Richtung der Wiese. Durch dichtes Gestrüpp abgeriegelt, lag sie aber noch immer einsam und wie unberührt am Waldrand.

Schnell noch ein prüfender Blick in den Spiegel: Gut sah sie aus. Verlockend in ihrem geblümten, vorne durchgeknöpften Trägerkleid. Sie öffnete noch die zwei untersten Knöpfe und nickte sich bestätigend zu. Ein zweiter Blick durch die Wohnung: Das möbliert gemietete Appartement sah unbewohnt und klinisch rein aus. Nun musste sie sich beeilen. Sie klemmte eine Decke und den mit Leckerbissen gefüllten Picknickkorb auf den Gepäckträger des Fahrrades und radelte zum vereinbarten Treffpunkt.

Schon von Weitem sah sie den Parkplatz auf dem Jens gerade sein Fahrrad aus seinem Auto holte. Evas Herz machte einen Sprung. Gut sah er aus in seinem einfachen weißen T-Shirt, der Jeans und den Turnschuhen. Sonst hatte sie ihn immer nur im Anzug gesehen. Atemlos kam sie bei ihm an. Er lächelte und blickte ihr nachdenklich in das erhitzte Gesicht. Ob er sich doch an sie erinnerte? Sie drehte sich schnell um und nestelte am Picknickkorb. Als sie dann hoch blickte, war sein Blick wieder neutral. Leise und erleichtert atmete sie aus. Trotz seines jungenhaften Lachens sah man ihm an, dass er eine schwere Zeit durchgemacht hatte. Silberne Fäden durchzogen bereits seine Haare. Sie stiegen auf die Räder und radelten aus Frankfurt heraus dem nahen Taunus zu.

Eva gab sich witzig und lustig. Jens wurde immer gelöster. Irgendwann begann er dann sein Herz auszuschütten und erzählte von den schweren Verkehrsunfall, den seine Frau und seine beiden Kinder erlitten hatten. Sie waren auf einer einsamen Landstraße von der Straße gedrängt worden, eine Böschung hinunter gestürzt und frontal an einen Baum gestoßen. Alle Insassen verbrannten im Fahrzeug. Der Unfallverursacher begann Fahrerflucht. Bis jetzt hatte die Polizei noch keine Spur. Behutsam lenkte Eva seine trüben Gedanken ab. Sie brachte ihn vermehrt mit lustigen Anekdoten zu Lachen. Er gestand ihr, dass er das erste Mal seit dem schlimmen Ereignis mit seiner Familie wieder Freude am Leben spüren würde. Das verdanke er Eva.

Sie waren auf der Wiese angekommen. Ein grüblerischer Blick huschte ihm über das Gesicht. Erkannte er die Stelle wieder? Schnell breitete Eva die Decke aus, ließ sich darauf nieder und öffnete den Korb. Frische Brötchen, Kartoffelsalat, kaltes Hühnchen, köstliche Fleischbällchen, Obst, Rotwein und Sekt kamen zum Vorschein. Jens freute sich, dass Eva seinen Lieblingswein erraten hatte. Sie schenkte ihm das blutrot funkelnde Getränk ins Glas. Eva trank Sekt. Sie stießen an, sie aßen und Eva schenkte Jens fleißig Wein nach.

Nach einer Weile bemerkte Eva die Veränderung an Jens. Er begann zu schwitzen. Sein Gesicht wurde zunehmend blasser. Dann kippte er nach hinten. Seine Glieder gehorchten ihm nicht mehr. Eva beugte sich lachend über ihn. Verzweiflung breitete sich auf seinem Gesicht aus. Er wollte etwas sagen, doch er konnte keine Worte mehr formen. Eva wusste, dass er hören konnte und sein Verstand klar war. Eine Viertelstunde hatte sie noch. Hilflos und angsterfüllt blickte er sie an.

Langsam zog sie die blonde Kurzhaarperücke vom Kopf und nahm die blauen Kontaktlinsen aus den Augen. Zufrieden sah Eva wie in seinem Blick panikartiges Erkennen aufblitzte. Ihr Lächeln wurde eisig. Voller Verachtung schaute sie nun auf ihn herab. Dann begann sie ihm ins Gesicht zu schleudern: „Ah, ich sehe, du erinnerst dich wieder an den Nachhauseweg von unserem Betriebsfest. Ich habe geschrien und gebettelt, aber das hat dich nur noch mehr gereizt. Die zweideutigen Bemerkungen der Kollegen hinter meinem Rücken in den folgenden Wochen ließen jeden Tag zu einem Spießrutenlauf werden. Dein höhnisches Lachen klingt mir jetzt noch in den Ohren, als ich dir von meiner Schwangerschaft erzählt habe. Der Hochzeitstermin mit deiner Verlobten stand ja bereits fest. was musst du erleichtert gewesen sein, als ich meine Stelle gekündigt habe. Meine Eltern haben meine Tochter erzogen. Vor zwei Jahren wurden alle bei einem Verkehrsunfall getötet. Den Unfall mit deiner Familie habe ich verursacht. Ich wollte, dass du auch fühlst, was ich gefühlt habe: Schmerz, Trauer, Hilflosigkeit und Erniedrigung. Das Gift, das du getrunken hast, wird dich nicht töten. Du wirst weiterleben, doch du wirst immer auf fremde Hilfe angewiesen sein. Du wirst denken können aber dich nicht mitteilen können. Deine Glieder werden gelähmt bleiben. In ein paar Minuten verlierst du das Bewusstsein. Ich sorge dafür, dass du rechtzeitig gefunden wirst. Adieu.“

Eva packte in aller Eile ihren Picknickkorb. Sie stand auf, schüttelte die langen dunklen Haare zurecht und verließ mit ihrem zuvor auf dem Uni-Gelände gestohlenen Fahrrad die Wiese.

Knapp zwei Stunden später raste ein Notarztwagen mit Blaulicht durch das Dorf im Taunus. In diesem Moment bekam der Airbus LH524 nach New York Starterlaubnis. Eva hatte einen Fensterplatz bekommen.